1. San Francisco, 26. März 1874: Robert Frost kommt auf die Welt
Leidenschaft, Hitzköpfigkeit und auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit waren Robert Frost buchstäblich in die Wiege gelegt. Bei seiner Geburt in San Francisco am 26. März des Jahres 1874 stand sein Vater mit geladenem Revolver vor der Tür des Zimmers, in dem der Hausarzt dem Sohn auf die Welt verhalf. Wenn seiner Frau irgendetwas geschehen sollte, drohte William („Will“) Prescott Frost, würde der Doktor das Haus nicht mehr lebend verlassen.Der Vater muss eine schwierige, zwiespältige Persönlichkeit gewesen sein. Einerseits ein Raubein und Draufgänger, der im amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) für die Sache der Konföderierten glühte und als Vierzehnjähriger von Zuhause weglief, um sich in die Armee einzuschreiben (was ihm allerdings aufgrund seines noch jugendlichen Alters verwehrt wurde). Sein Held war General Robert E. Lee, Befehlshaber der Südstaatenarmee, nach dem er später seinen Sohn benannte. Will Frost wird als erfolgreicher Pokerspieler, Trinker und häufiger Bordellbesucher beschrieben. Auf der anderen Seite war er ein brillanter Harvard-Student, dem Bildung wichtig war und der sich lebhaft für Politik, Geschichte und Rechtswissenschaft interessierte. Auch literarische Betätigung reizte ihn, sie scheiterte allerdings an seinem Mangel an Selbstdisziplin. Schwankend, ob er eine Laufbahn als Journalist einschlagen oder sich auf die Juristerei verlegen sollte, entschied er sich für den Journalismus und hoffte, darauf eine politische Karriere aufbauen zu können. Das ländliche, zu seiner Zeit verschlafene Neuengland mit seinen puritanischen Moralvorstellungen, in dem William Frost aufgewachsen war, schien ihm dafür allerdings ungeeignet, und so machte er sich auf in die Stadt, die seinerzeit der wohl am übelsten beleumdete Ort der Vereinigten Staaten war: San Francisco am anderen Ende des Kontinents, diese „immer noch rohe Stadt“* am Pazifik.
*Elizabeth Seargent, Robert Frost - The Trial by Existence, New York 1960