Aus der Biografie 5

1885: Neuanfang in Neuengland

Für die Frosts war es nicht leicht, in Neuengland Fuß zu fassen, der Region, in der die väterlichen Vorfahren mehr als zweieinhalb Jahrhunderte erfolgreich gelebt und gewirtschaftet hatten. Jetzt war die Rumpffamilie darauf angewiesen, mit dem spärlichen Gehalt der Mutter – vierhundert Dollar im Jahr – über die Runden zu kommen. Dazu kam, dass Isabelle ("Belle") Frost als Lehrerin sehr um ihre Autorität zu kämpfen hatte. Lawrance Thompson beschreibt sie als eine "schöngeistige, christliche Frau, der die Heiligkeit aus den Augen leuchtete." Um eine Horde von Halbwüchsigen geordnet zu unterweisen, war das vielleicht nicht immer eine ausreichende Qualifikation. Sie litt unter der Situation, wurde merklich depressiv, verlor an Gewicht, blickte oft verloren ins Leere, während ihre Schüler an den Tischen herumtobten. Sie neigte dazu, bestimmte Schüler – darunter auch ihre beiden Kinder – zu bevorzugen und die übrigen zu ignorieren. Bald gab es Gerede im Städtchen, es hieß, Mrs. Frost würde als Lehrerin nichts taugen, es gab Stimmen, die verlangten, sie solle nicht länger an der Schule unterrichten. Robert litt unter der Herabsetzung, der seine Mutter ausgesetzt war und die auch ihn traf, etwa als ihn der Besitzer des General Stores aus dem Laden warf, nur weil er zu den missliebigen Frosts gehörte.
Andererseits formierte sich eine Bewegung von Eltern und Schülern zu Belles Verteidigung. Man gab zu, dass sie vielleicht nicht die strengste sei, dagegen sei es ihr gelungen, in ihrem ersten Halbjahr vier Schüler so weit zu bringen, dass sie die Aufnahmeprüfung zur Highschool bestanden. Niemals zuvor habe es das an dieser Schule gegeben. Belle Frost aber entschloss sich nach einiger Zeit zum Rückzug und verließ im Herbst 1888 die Schule.
Belle machte sich große Sorgen um ihre beiden Kinder, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Jeanie, sagte sie zu einer Freundin, sei immer so nervös und breche leicht in Tränen aus, gelegentlich erscheine sie ihr "nicht ganz normal". Vielleicht, so meinte sie, habe der liebe Gott dem Kind mehr Verstand als nötig mitgegeben. Das Mädchen schwankte in dieser Zeit zwischen Phasen extremer Schlaflosigkeit, in denen sie Mutter und Bruder bis in die frühen Morgenstunden wachhielt, und Abschnitten hoffnungsloser depressiver Zustände, in denen sie kaum aus dem Bett kam. In einem Brief bekannte Belle, Jeanie sei "außer Reichweite". Anders Robert: die Mutter fürchtete, sie habe ihn, der immer teilnahmsloser werde, ungewollt daran gehindert, von sich aus gute Angewohnheiten bezüglich Lesen und Lernen zu entwickeln, da sie den Kindern immer zu viel vorgelesen habe. "Ich weiß nicht, was aus dem Jungen mal werden soll." Im Ort berichtete man aber auch von einer anderen Haltung der Mutter: Mehr als einmal habe man erlebt, wie Mrs. Frost ihrem Sohn den Arm um die Schultern gelegt und voller Stolz erwähnt habe, wie viel sie sich von Rob erhoffe. Allerdings gaben sich die meisten überzeugt, dass der junge Frost ein fauler Nichtsnutz sei und es wenig Grund gebe, irgendwelche Hoffnungen in ihn zu setzen.

 

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