Aus der Biografie 7

1891/92: Highschoolabschluss und Bekanntschaft mit der Großen Liebe (1. Teil)

In seinem letzten Jahr auf der Highschool, 1891/92, bekleidete Robert Frost eine Reihe verantwortungsvoller Positionen: Er war Klassensprecher, Herausgeber des High School Bulletin, maßgebliches Mitglied im Debattierclub der Schule und hatte sich darüber hinaus einen Ruf als herausragender Sportler erworben. Diese Anerkennung stärkte sein noch unterentwickeltes Selbstbewusstsein ganz erheblich. Die Eingangsprüfungen zur Harvard University hatte er bestanden und ein weiteres Gedicht, A Dream of Julius Cesar, auf der Titelseite des Bulletin veröffentlicht – das Elizabeth Sergeant zwar als noch unreif, aber auch voller Leidenschaft und beträchtlichem formalen Geschick bezeichnet. Die Lehrer stellten Frost seinen Mitschülern als Beispiel hin.
Zu Beginn des Schuljahres wurde Robert Frost auf ein hübsches Mädchen aufmerksam, das seinen Sitz im Studiersaal neben dem seinen hatte. Der Name seiner Nachbarin war Elinor Miriam White. Obwohl Robert und Elinor bereits mehrere Jahre dieselbe Highschool besuchten, hatten sie bis dahin keine Gelegenheit gehabt, einander zu begegnen, da sie im Englischzweig, er im klassischen Zweig eingeschrieben war. Auch hinderten Elinors häufige Krankheiten sie am regelmäßigen Schulbesuch. Dass sie ebenso wie Robert an Dichtung interessiert war, machte sie für ihn noch anziehender.
Elinor, die wegen ihrer wiederholten Abwesenheit von der Schule nur wenige Freunde hatte, fühlte sich von der Aufmerksamkeit des beliebten und einflussreichen Schülers, der Robert Frost war, geschmeichelt. Im Lauf des Schuljahres kamen sie einander näher und stellten fest, dass sie Gemeinsamkeiten hatten: beide fühlten sich in Lawrence als Außenseiter und beide liebten die Poesie. Auch Elinor verfasste Gedichte, gab dies jedoch bald wieder auf. Dazu kam, dass ihre beiden Familien gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen: Elinors Vater war launisch und impulsiv und hegte nach seinem Kirchenaustritt – wie Roberts Vater – eine starke Antipathie gegen die Religion. Ihre Mutter dagegen, die aus einer prominenten Familie stammte und Wert auf ihren gesellschaftlichen Ruf legte, hatte von ihrem Mann erwartet, dass er seinen Status als Priester behielte und schon mit dem Gedanken an eine Scheidung gespielt.
In ihrem gemeinsamen Interesse an amerikanischer Dichtung stießen Robert und Elinor nahezu unvermeidlich auf das Werk der erst wenige Jahre zuvor verstorbenen Emily Dickinson. Frost fand dort ähnliche Fragen behandelt, wie sie auch ihn bewegten. Ihre "lapidaren, heimeligen, gnomischen, kryptischen, witzigen Qualitäten" (Thompson) zogen ihn stark an und sollten einen bedeutenden Einfluss auf sein Werk ausüben.
Im Frühjahr 1892 stand der Schulabschluss an. Bis heute ist es an amerikanischen Highschools der Brauch, im Abschlussjahr, das gewöhnlich das zwölfte Schuljahr ist, den oder die Jahrgangsbeste(n) auszuwählen und mit dem Titel Valedictorian zu ehren. Die Auswahl erfolgt in der Regel nach dem Notendurchschnitt, aber auch nach anderen Kriterien, wie dem allgemeinen Engagement für inner- und außerschulische Aktivitäten oder die Fähigkeit des öffentlichen Redens. Letzteres ist deshalb von Bedeutung, da der bzw. die Valedictorian während der Abschlussfeier eine Rede vor Mitschülern, Lehrern und Eltern zu einem selbstgewählten Thema hält.
Gegen Ende des letzten Schuljahres bot der Schulleiter Robert Frost an, ihn mit der Berufung zum Valedictorian zu ehren, obwohl Elinor White den besseren Notendurchschnitt hatte. Elinor hatte aber im Gegensatz zu Robert nur den "normalen" – sprachlichen und allgemeinen – Zweig besucht, der als weniger anspruchsvoll als der klassische galt. Robert, der gleichermaßen entzückt wie eifersüchtig war, als er erfuhr, dass Elinor in der engeren Wahl stand, lehnte ab, da er ihr den Vortritt lassen wollte, und so machte der Schulleiter den Vorschlag, beide gemeinsam auszuzeichnen.

 

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