Frost trug dieses Gedicht während seines Besuchs in Russland 1962 vor. Der politische Bezug ist offensichtlich: zu diesem konkreten Anlass versuchte er, den Eisernen Vorhang und die Berliner Mauer zur Debatte zu stellen.
Doch Zäune und Mauern gibt es allenthalben: Sichtbare wie die Wände unserer Wohnung, oder die Hecke, die den Garten umgibt, auf dem Papier dargestellte wie Stadt- und Landesgrenzen sowie mentale Beschränkungen, wie Hemmungen, Unverständnis und Intoleranz. Frost äußert hier seine Zweifel an der Berechtigung und dem Nutzen von Grenzen, wagt es aber nicht, dem Nachbarn (oder dem Leser) gegenüber eindeutig Stellung zu beziehen, sondern kleidet seine Bedenken in eine Frage und in die Andeutungen, dass er sich da mit unbestimmten Mächten eins fühlt. Und auch wenn er den Nachbarn als rückständig (Steinzeitmensch) und einfältig (in Dunkelheit) beschreibt, hat die prägnante Formulierung, die der Dichter ihm in den Mund legt, durchaus etwas für sich: Der Friede bleibt eher gewahrt, wenn klar ist, wie weit jeder gehen darf und dies nicht immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Diese Ansicht ist angesichts der menschlichen Natur womöglich realistischer und erfolgversprechender als die des gescheiten Ich-Sprechers, der von Idealen ausgeht.
Die Doppelbödigkeit von Mending Wall liegt darin, dass es auch aufzeigt, dass Grenzen verbinden können. Die Initiative, den Steinwall zu flicken, geht vom Sprecher aus und in der gemeinsamen Arbeit klären sich ihre Positionen und vertieft sich ihre gute Nachbarschaft, die sie pflegen, trotz der Unterschiede (Grenzen) auf geistigem Gebiet.
https://www.gradesaver.com/the-poetry-of-robert-frost/study-guide/quotes meint dazu:
Dieses Zitat1 ist vielleicht das am häufigsten genannte aus Frosts poetischem Werk. Der Nachbar wiederholt den Spruch Good fences make good neighbors im Lauf des Gedichts, und obwohl der Erzähler anfangs skeptisch gegenüber der Wertschätzung des Nachbarn für alte Traditionen ist, beginnt er möglicherweise diesem Spruch zuzustimmen. Diese Zeile beleuchtet die Bedeutung von Eigentum und Individualität in den USA. Obwohl der Wall im praktischen Sinn (…) nicht notwendig ist, bewahrt er die individuelle Identität eines jeden in der bäuerlichen Gemeinschaft und erlaubt ihnen, ein Gefühl des Stolzes auf das Besitztum zu haben. Auf noch grundlegendere Weise erlaubt das Flicken der Mauer, ihre Beziehung durch zwischenmenschliche Kommunikation zu entwickeln.
1 "Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut". Es handelt sich um einen Kalenderspruch, den Frost gefunden hatte. Bei einer Lesung in späteren Jahren sagte er, dieser ginge auf das Panchatranta zurück, ein altindisches Buch (https://www.jstor.org/stable/43897217).