Robert Frost und das Landleben

Das Leben auf dem Lande – bei fast allen anderen, die schreiben, verdient es allenfalls eine Fußnote, da sie auf dem Dorf lediglich Ruhe für die Arbeit und frische Luft suchen. Doch ganz anders bei Robert Frost. Hätte er das ganzes Leben in seiner Geburtsstadt San Francisco zugebracht, wären seine Gedichte nicht das, was sie sind. Es ging sogar soweit, dass er über viele Jahre den Ruf genoss, ein Heimatdichter oder gar ein dichtender Bauer zu sein, wobei er zu diesem Image durchaus selbst beitrug. Vor allem die liebevollen Illustrationen in seiner Sammlung New Hampshire, Holzschnitte seines Freundes J. J. Lankes, erwecken diesen Eindruck. Und die Gegenstände der Gedichte natürlich noch mehr: Da geht es um Apfelernte, um das Holzhacken, ums Mähen oder Blumen pflücken, um den tragischen Tod eines Jungen beim Sägen von Brennholz und die unsentimentale Reaktion der Familienmitglieder darauf; die Liste kann beliebig verlängert werden. Selten ist bei Frost die Kulisse eine Stadt oder gar nicht näher definiert.

Doch wie sah das konkret aus für Frost, auf dem Lande zu leben? Sehr konkret: Er jobbte schon in seiner Schulzeit auf Farmen, um sich Geld zu verdienen. Mit 25 Jahren suchte er Ausflucht aus einer Familien- und Lebenskrise und ständigen Geldnöten, indem er sich als Geflügelzüchter betätigte. Dann kaufte der Großvater eine zwölf Hektar große Farm für ihn, nahe Derry, New Hampshire. Dort züchtete Frost weiter Hühner und betrieb mit Hilfe eines Freundes und der Nachbarn etwas Subsistenzwirtschaft. Auch bei seinem zweieinhalbjährigen Aufenthalt in England zog er es vor, in einem Cottage außerhalb Londons zu leben. Als er 1915 in die USA zurückkehrte und als Dichter gefeiert wurde, war er auf den Verdienst aus der Landwirtschaft nicht mehr angewiesen. Aber das Land mit seinen Schönheiten und als Inspirationsquelle ließ ihn nicht los. Bis zum Ende seines Lebens wird er Farmen "sammeln", das heißt, er kaufte sie, wenn sie ihm gefielen, und in einigen wohnte er auch zeitweise. Festzuhalten ist, dass er viele bäuerliche Arbeiten selbst verrichtete, physische Anstrengungen nicht scheute und mit den Nachbarn engen Kontakt hatte.

Besingt er nun Neuengland und das Leben dort am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder nicht? Die Antwort lautet ja und nein. Natürlich kann sein Werk so gelesen werden, und viele haben es so gelesen. Daraus erwuchs mit Sicherheit die große Popularität Frosts, auch unter einfacheren Gemütern. Sie sahen in ihm einen, der sich in praktischen Dingen auskannte, der auf seine Art zu ihnen gehörte, auch wenn Frost selbst natürlich immer den großen Abstand zwischen ihrem Denken und seinem sah – thematisiert in Mending Wall. Bei den Städtern bediente Frost möglicherweise die nostalgischen Gefühle und die sentimentale Einstellung, auf dem Lande lebe es sich besser. Das ist die eine Seite.

Doch im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern, deren poetische Texte sich darauf beschränken, Beobachtungen festzuhalten und in schöne Worte zu kleiden, geht er weit darüber hinaus. Seine Wahrnehmungen, seine Beschreibungen sind die Aufhänger für das, was kommt – psychologische, philosophische oder spirituelle Reflexionen. Anders gesagt: Er sieht in allem eine verborgene Wahrheit, die es zu entdecken gilt. Das erwähnte Mending Wall handelt davon, dass zwei Nachbarn gemeinsam ihre Feldbegrenzung ausbessern, es handelt, wie ebenfalls schon erwähnt, von den unterschiedlichen Denkweisen von Bauern und intellektuellen Menschen. Aber das große Thema des Gedichts ist die Frage, ob Grenzen notwendig sind, ob sie trennen oder verbinden und ob sie gut oder schlecht sind. Und es wirft Zweifel auf, ob das überhaupt mit unserer traditionellen Logik beantwortet werden kann.

Daraus wird klar, warum für Frost der Begriff Metapher so wichtig war. Er definiert sie, kurz gesagt, als "die Art und Weise, eine Sache mit den Worten einer anderen Sache zu sagen". Ihm liegt es nicht, theoretische Analysen zu verfassen, sondern er schöpft aus der reichen Bilderwelt, die ihm das Landleben zur Verfügung stellt, um das Gemeinte passend zu illustrieren und nachvollziehbar zu machen. Daraus wird klar, dass das Leben nahe oder in der Natur, die Begegnungen mit Menschen, die mit ihr zu tun haben und manchmal bis zur physischen Erschöpfung mit ihr ringen, seiner Dichtung den Stempel aufgedrückt haben. Frost muss andererseits unaufhörlich auf der Suche nach Erkenntnis gewesen sein, oder sein Geist war so offen und so geschult, dass sie ihm aus den Dingen entgegensprang. Eigentlich ist uns das nicht unbekannt, denn Goethe sah ebenfalls stets hinter dem Besonderen das Allgemeine und ließ daher den Chorus Mysticus am Ende des Faust II rezitieren: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis ...

Mit dieser Sichtweise schauen wir uns drei weitere Gedichte an. Im Sonett Design erzählt er von einem Morgenspaziergang, bei dem er eine weiße Spinne auf einer weißen Heilpflanze entdeckt, die normalerweise blau ist. Und diese Spinne hat einen weißen Falter gefangen, der sich offenbar in ihrem Netz verfangen hat und tot ist. Dies weckt zunächst Assoziationen an ein menschliches Frühstück und Schauder ob der Grausamkeit der Natur. In den Schlusszeilen allerdings schaudert das lyrische Ich noch mehr, als es angesichts dieses Geschehens entweder die Allmacht oder die Allgüte Gottes in Zweifel ziehen muss. Denn handelt es sich bei dem dreifachen Zusammentreffen der Farbe Weiß, die hier überdies mit Tod verbunden wird, um einen bloßen Zufall, hat Gott die Schöpfung nicht im Griff. Hat er das Ganze so geplant, scheint er ein destruktiver Gott zu sein. Der Titel des Gedichts verweist auf das göttliche Design, das von christlichen Gegnern der Evolutionstheorie ins Feld geführt und in den USA selbst heute noch befürwortet wird. Wir Europäer mögen darin eher die Theodizee als Grundidee dieses Gedichts ausmachen. Wie dem auch sei, aus einem einfachen Gang nach draußen wird eine religiös-philosophische Spekulation.
Das letzte Foto von Robert Frost

Ein weiteres aufschlussreiches Beispiel ist Frosts unbetiteltes letztes Gedicht seines letzten Gedichtbandes In the Clearing, das mit den Worten beginnt: In winter in the woods alone. Mit einfachen, ja zarten Worten ist nichts weiter beschrieben als das Fällen eines Baums und der Heimweg danach, scheinbar eine Idylle. Blicken wir aber tiefer, tun sich Abgründe auf. Denn es wimmelt nur so von Todessymbolik: der Winter, das Alleinsein, der Schnee, der Sonnenuntergang, die Zahl vier, die an ein Kreuz gemahnt, die Axt, das Fällen des Baums, die Heimkehr. Das lyrische Ich hat dem Baum den Tod gebracht und in der letzten Zeile weist es auf einen weiteren Schlag hin. Aber es bestimmt nicht, ob es den Schlag ausführt oder erleidet. Frost schrieb das Gedicht im Januar 1962. Im Januar 1963 starb er.

Ein längeres Blankversgedicht, The Ax-Helve, schildert die Begegnung mit einem Nachbarn des Ich-Sprechers, der franko-kanadischer Herkunft ist und Axtstiele fertigt. Es beginnt damit, dass dieser Nachbar den Axtstiel des Sprechers als minderwertig bezeichnet und ihm seine eigenen Stiele zeigt, die gemäß den Fasern des Holzes modelliert sind, was garantiert, dass der Stiel nicht während des Hackens bricht. Soweit also die Verankerung des Texts im ländlichen Leben. Im Laufe des Gesprächs jedoch kommen die beiden Figuren auch kurz auf das sogenannte Home-Schooling zu sprechen, also den Unterricht von Seiten der Eltern statt in einer öffentlichen Schule. Frost wurde teilweise von seiner Mutter unterrichtet und unterrichtete auch eine Zeitlang gemeinsam mit seiner Frau die eigenen Kinder selbst. Natürlich gab es auch praktische Gründe für diese Entscheidung, beispielsweise zu lange Schulwege bei widrigem Wetter, doch glaubte Frost auch, dass Eltern einfühlsamer sind und besser erkennen, welche Themen für das Kind spezifische Bedeutung haben und auf welchem Niveau es angesprochen werden muss. Wichtiger noch war ihm, dass sich das Kind aus sich heraus entwickeln darf und nicht den Ansprüchen der Erwachsenen oder gar des Staates gerecht werden muss. Das drückt er hier metaphorisch aus mit der Forderung, dass die Kurven eines Axtstiels der Maserung des Holzstücks folgen müssen, wenn das Ergebnis von Dauer sein soll.
Sehr auffällig sind in diesem Text der Akzent und die Sprechweise des Kanadiers. Daher sehen manche Interpreten hier die dichterische Sprache selbst thematisiert, und zwar als anschauliche Darstellung der Überlegungen Frosts zur Form der Dichtung: Zwar sei die Sprache gebunden, doch sie darf nicht um jeden Preis formalen Prinzipien gehorchen und die vom gewählten Versmaß geforderte Betonung sollte sich der normalen gesprochenen Sprache anschmiegen.

Dies führt zu einem weiteren Gedanken: Nicht nur für die Bildwelt der Gedichte, sondern auch für deren formale Gestaltung war das Leben auf dem Land für Frost von eminenter Bedeutung. Er schaute in der Tat "dem Volk aufs Maul", und formte dessen Sprachgebrauch in literarische Sprache um. Lehnten sich die Gedichte seiner ersten Sammlung, A Boy’s Will, noch an literarische Traditionen an, hatte er spätestens mit North of Boston seinen eigenen Stil gefunden, der als direkt und lakonisch beschrieben werden kann. Dieser leitet sich ab aus dem harten bäuerlichen Dasein, entspricht aber auch der Nüchternheit des 20. Jahrhunderts im allgemeinen, die auf Schnörkel verzichtet. Schon aus diesem Grund ist der hin und wieder an Frost gerichtete Vorwurf, mit seinem Bezug aufs Landleben rückständig zu sein, absurd.

Wie man sieht, können Frosts Texte unter ganz verschiedenen Aspekten gelesen und bewertet werden. Sich mit ihnen zu beschäftigen artet immer in eine Entdeckungsreise mit Überraschungen aus.

I.S.